Glatteis: Fahrerin landete mit brisanter Fracht im Graben

Atomtransport im Kollerraum

Brunsbüttel – Irgendwann passiert es doch. Auch in Brunsbüttel. Auf spiegelglatter Straße ist gestern vormittag um 8.35 Uhr ein Kleintransporter mit radioaktiven Stoffen an Bord verunglückt. Vor der Kreuzung Ostermoorer Straße/Fritz-Staiger Straße hatte die junge Fahrerin die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Der Transporter rutschte auf den Seitenstreifen und kippte um.
Die Frau blieb unverletzt und informierte über Autotelefon die Brunsbütteler Polizei. Ihr erzählte sie auch gleich von der brisanten Fracht: 11 Kilogramm radioaktives Molybdaen. Hierbei handelt es sich um Tabletten, die schilddrüsenkranke Patienten schlucken müssen, bevor sie mit Röntgenstrahlen durchleuchtet werden. Die Frau hatte das Brunsbütteler Krankenhaus beliefert und war auf dem Wege zu anderen Kunden. Am Unfallort war zu vernehmen, daß diese Kurierdienstfahrerin gestern auch gleichzeitig Kleidungsstücke für Boutiquen austeilen wollte.
Der Leiter der Brunsbütteler Polizeistation, Bernd Wasmund, rückte sofort mit seinem Dosisleistungswarner an und ließ die ganze Ostermoorer Straße absperren. Doch zunächst konnte der Beamte keine Radioaktivität feststellen. Erst beim zweiten Rundgang um das umgekippte Fahrzeug schlug das Meßgerät an, und zwar unmittelbar unter der Bodenplatte des Transporters. Für Wasmund war klar: Hier ist eine Strahlung von mindestens 2,5 Millirem; die Ladung ist offenbar kaputt.
Schnell funkte er die Kreisleitstelle an. Von dort aus wurde der ABC-Abwehrzug des Kreises Dithmarschen in St. Michaelisdonn alarmiert. Zugführer ist Joa
chim Rohde, der Bürgermeister der Gemeinde.
Der Leiter des Brunsbütteler Ordnungsamtes, Uwe Jessen, und Bürgermeister Ernst Tange waren von der Brunsbütteler Feuerwehr über den besonderen Unfall informiert worden. Jessen nahm dann Verbindung mit der unteren Katastrophenschutzbehörde des Kreises auf.
Am Unfallort herrschte mittlerweile reges Treiben: Unter Führung von Jochen Rohde war um 10.30 Uhr – also zwei Stunden nach dem Unfall – der ABCAbwehrzug eingetroffen; neun Männer aus St. Michaelisdonn und Eddelak. Einige stülpten Chemie-Schutzanzüge über und legten umluftunabhängige Atemschutzgeräte an. Dann holten sie die aufgebrochenen Kartons aus dem Unfallwagen und steckten sie in sogenannte „Überfässer“. Erst jetzt informierte die Kreisleitstelle die Presse!
Fest verschnürt standen die gelben Fässer schließlich auf dem kleinen Anhänger der Feuerwehr (siehe Foto). Wohin sollte die Reise gehen? – „Wir wissen es nicht“, antwortete Joachim Rohde. „Es ist noch nicht entschieden, ob die Fässer irgendwo zwischengelagert oder gleich vom Spediteur wieder abgeholt und entsorgt werden sollen.“
Wie Uwe Jessen vom Ordnungsamt später berichtete, hatte sich das Brunsbütteler Atomkraftwerk auf Wunsch des Kreises sofort dazu bereiterklärt, Hilfe zu leisten und die radioaktiven Stoffe sicher zwischenzulagern. Doch dieses Angebot wurde – vermutlich aus Kostengründen – ausgeschlagen.
Das Ende vom Lied: Der Kurierdienst schickte einen heilen
Transporter, verstaute die Uberfässer im Kofferraum und brauste auf und davon. Die Genehmigung zum Transport solcher Stoffe hatte er der Polizei vorgelegt. Bernd Wasmund: „Nun muß die Firma für die Entsorgung sorgen. Darüber wird genau Buch geführt.“ Auch Feuerwehr-Einsatzleiter Joachim Rohde hatte „keine Bedenken“, denn seine Kameraden konnten an den Fässern keine Strahlung mehr feststellen: „Molybdaen gehört zur Gefahren-Kategorie 1. Erst bei Stoffen der Kategorie III muß man ganz schnell weglaufen. . .“
Greenpeace-Atomexperte Roland Hipp aus Hamburg zeigte sich gegenüber der DLZ/BZ sehr überrascht über diesen unbürokratischen Abtransport der radioaktiven Fracht: „Man muß doch eigentlich erwarten können, daß der ABC-Abwehrzug die Fässer solange begleitet, bis sie ordnungsgemäß entsorgt werden. Eine Strahlung von 2,5 Millirem ist nicht wenig. Sonst wäre der Stoff ja nicht einer Gefahrenkategorie zugeordnet worden.“
Nach Angaben von Greenpeace werden in Deutschland jährlich mehr als 200 000 Transporte mit Stoffen aus dem nuklear-medizinischen Bereich durchgeführt, und zwar mit „ganz normalen Fahrzeugen“. Allein Molybdaen werde tonnenweise durch die Republik kutschiert. Daß die Spediteure und Kurierdienste dabei aus wirtschaftlichen Gründen gleichzeitig andere Waren – wie zum Beispiel Kleidungsstücke – im Frachtraum haben, sei üblich.
S o in der Tonne ist das Zeug ja ungefährlich, aber wenn du den Kopf da „reinsteckst, bist du schnell weg“, scherzte jemand am Unfallort. – Natürlich, gerade wir in Brunsbüttel haben gelernt, mit der Angst zu leben und mit der Gefahr umzugehen. Klar ist auch, daß Krankenhäuser noch heute strahlende Stoffe benötigen, um Patienten behandeln zu können.
Dennoch müssen die Ordnungsbehörden diesen kleinen Schuß vor den Bug ernst nehmen. Menschen machen eben Fehler. Deshalb darf es nicht ausreichen, dem verunglückten Spediteur seine radioaktive Fracht wieder in den Kofferraum zu legen und ihm eine gute Weiterfahrt zu wünschen.
Auch Anfang Dezember, als in Brokdorf Atommüll abtransportiert wurde, war die Straße spiegelglatt. Dagegen kann sogar die Polizei nichts tun…
Und noch etwas stößt auf: Warum wird die Presse erst informiert, wenn die Katze wieder im Sack ist?